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Literarische Lieblinge vom Förderverein Leselust

Die Schule am Meer

Autorin: Sandra Lüpkes

Genre: Roman, erschienen im Rowohlt-Verlag, 6. Auflage 2021, 571 Seiten

 

 

Darum geht es: Die Autorin hat mit ihrem Roman einen Teil der Gesellschaft der 1920-30er Jahre in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg bis in die Anfänge von Hitlers Machtergreifung anhand ausgiebiger historischer Recherchen beschrieben. Sie berichtet über ein reformpädagogisches Internat auf Juist, der Nordseeinsel mit ihrer dörflichen Einwohnerschaft. Die Schule wurde 1925 von vier Lehrerehepaaren eines städtischen Gymnasiums gegründet, das die Lehrkräfte wegen ungestrafter sexueller Übergriffe des Schulleiters auf dessen Schüler*innen verließen. Die meisten der betroffenen Schüler*innen folgten ihren Lehrern auf die Insel. Hier sollte ein Zuhause für Schüler*innen aus aller Welt entstehen. Ein koedukatives Miteinander, eine Kameradschaft zwischen Lehrkräften und Schüler*innen ohne Vorbehalte wegen Herkunft oder Religiosität sollte ebenso gefördert werden wie das praktische Lernen im Einklang mit der Natur. Auch Bildende Kunst, Theaterspiel, Musik und Sport sollten  eine große Rolle in der Erziehung einnehmen. Doch schon der Anfang der Schulgründung stand unter einem schlechten Stern: Gab es doch bereits zu dieser Zeit nationalsozialistische Parolen im Ort. Es kam durch einzelne Einwohner*innen immer wieder zu Schikanen im Laufe der Jahre, die das Internat bestand. Der Beginn der Schuleinrichtung fußte vor allem auf Eigenkapital einer der Lehrkräfte, das zum Kauf eines Stück Brachlandes sowie baufälliger Gebäude verwendet wurde, die von der Lehrerschaft und den Schüler*innen in Eigeninitiative bewohnbar gemacht wurden. Während die Schule eine sehr eigenwillige einheimische Hauswirtschafterin als Leiterin der Schulküche  nach und nach für ihre Ideen begeistern konnte, spitzte sich die politische Lage in Deutschland und auch auf der Insel immer mehr zu, sodass dem Internat unterstellt wurde, „ein Hort für Kommunisten und Juden“  zu sein, bis es letztendlich Anfang 1934 nach dem externen Abitur in Wilhelmshaven zur Schließung der Schuleinrichtung kam, die durchschnittlich immer über sechzig Schüler*innen alljährlich betreut hatte.

Darum hat mir das Buch gefallen:

Ich fand es spannend, wie die Autorin über eine mir bis dahin nicht bekannte Reformschule berichtet, das Wagnis, Missstände am Erziehungssystem verändern zu wollen durch Gründung einer neuen „besseren“ Schule ohne die üblichen Zwänge. Mich hat auch beeindruckt, die fortschreitende nationalsozialistische Entwicklung in Deutschland zu verfolgen, die zunächst verdeutlicht wird durch die Schilderung der Missgunst einiger Personen der Inselbevölkerung. Die Auswirkungen der NS-Zeit zeigen sich nach und nach auch bei einzelnen Schüler*innen und bei einem der nationalsozialistisch gesinnten Lehrer, dem späteren Schulleiter. Es geht bis zum Verrat der Freundschaft an dem „links-orientierten“ Gründer des Internats und an seiner jüdischen Frau. Diese geschätzte Kollegin, die das Kapital zur Gründung, zum Ausbau und auch zum Fortbestehen der Einrichtung immer wieder beisteuerte zusätzlich zu den Pensionseinnahmen der Einrichtung. Sie reicht bedingt durch die „NS-Gleichschaltung“ nach dem Tode ihres Mannes 1933 ihre Kündigung ein. Auch alle jüdischen Schüler*innen müssen ausreisen.

Gisela Murken

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