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Literarische Lieblinge vom Förderverein Leselust

Herzfaden

Autor: Thomas Hettche

Roman der Augsburger Puppenkiste. 279 S. btb 12,00 €


 

 

Mensch und Marionette

 

Worum geht es?

 

Der Roman entführt uns gleich zu Beginn in zwei scheinbar verschiedene Welten, erzählt zwei Geschichten aus verschiedenen Zeiten – und das in zwei Schriftfarben!

 

In Rot ist es die Geschichte eines kleinen 12jährigen Mädchens, das sich - frustiert und traurig -nach der Vorstellung des Puppentheaters von der Hand seines Vaters losreißt. Es schleicht sich (mittels LED-Beleuchtung seines Iphones!) auf den dunklen Dachboden des Theaters und trifft dort die lebendig gewordenen Marionetten der Augsburger Puppenkiste, u.a. Jim Knopf, das Urmel, Kater Mikesch… und schemenhaft, weiß gekleidet die Marionettenmacherin Hannelore Öhmichen selbst, genannt Hatü. Sie ist die Tochter eines Augsburger Theaterschauspielers, der 1941 im Lazarett damit beginnt, seine Kameraden und dann auch die ganze Familie mit einfachen selbst gebastelten Puppen zu unterhalten.

 

Hatü erzählt dem Mädchen, wie die Augsburger Puppenkiste 1944 nach der Zerstörung ganz Augsburgs gegründet worden ist, die Entwicklung des Marionettentheaters in der Nachkriegszeit; das neue Medium „Fernsehen“ macht es berühmt. Wir erfahren von Hatü auch, was und wie sie es selbst hautnah erlebt hat: Krieg, Judenverfolgung, Nachkriegszeit, Familienprobleme, Teenagerzeit. Diese Geschichte ist in blauer Schrift.

 

Welches Geheimnis umgibt eine Kasperle-Marionette (von Hatü schon als Kind geschnitzt), die „böse grinst“? Der Romantitel „Herzfaden“ – ein Schlüssel zum Verständnis des Werks! Wie sich dann Vergangenheit und Gegenwart zusammenfügen, das erschließt sich uns Leser/-innen (und dem Mädchen) am Ende des Romans.

 

Was gefällt mir an diesem Roman?

 

Ganz verwundert gerate ich erwachsene Leserin zu Beginn meiner Lektüre in eine kindliche Fantasiewelt auf dem Dachboden. Ich bin berührt von Hatüs Freundschaft zur jüdischen Mitschülerin Vroni. Beide sind traumatisiert durch Ihre persönlichen Erfahrungen mit der Nazi-Diktatur. Dieses Leid von Kinder aus Kriegswirren findet bis heute kein Ende ….

Es beeindruckt mich, wie das Marionettenspiel für Hatü und ihren Vater Lebensinhalt ist: Beide suchen in den Kriegstrümmern schon wieder nach Materialien für neue Puppen.

 

Unterhaltung in allerbestem Sinne: immer spannend, melancholisch, optimistisch, mit Herz und Verstand. Beide Geschichten verknüpfen auf eine wundersam filigrane Art Vergangenheit und Gegenwart, Märchen und Realität – nicht zuletzt auch ganz „real“ durch den „Auftritt“ der frechen, bösen Kasperle-Figur, die sowohl Hatü als auch das Mädchen auf dem Dachboden ängstigt.

 

Mir gefällt diese Mischung aus Fakten und Fantasie! Ihnen vielleicht auch?

 

Ingrid Hartleif

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